Herz und Verstand
- Anja Harz
- 21. Juli
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: vor 10 Stunden
Auch mit dem größten Verständnis fällt es mir gerade sehr schwer, das Verhalten eines anderen Menschen zu verarbeiten. Denn Dinge, wie Reden, Ehrlichkeit von Angesicht zu Angesicht, Verstehen wollen, trotz Fehlern so sein dürfen wie man ist, tausendprozentiges Vertrauen, Wachsen und der Wichtigkeit dahinter, wurden innerhalb von ein paar Tagen komplett vernichtet. Andere Menschen wurden gehört, befragt. Niemand von ihnen kennt alles, die guten und vor allem beide Seiten. Die Seiten, die dankbar genommen wurden, solange sie gebraucht wurden und angenehm waren. Es wird das gedreht, wie es sich drehen muss, damit begründbar ist, was zum Aufhänger gemacht wurde. Damit es gut und leichter zu entsorgen ist. Damit gute Begründungen schnell der Sache dienen.
Menschlich? Ja, vielleicht ist es das sogar in gewisser Hinsicht. In Panik brauchen wir alle schnell eine Lösung, die Wunden abdeckt, die so schmerzhaft sind, dass man sie kaum aushalten kann. Eine Lösung, bei der die Kontrolle wieder hergestellt werden kann. Koste es, was es wolle. Ein Preis, den erst einmal andere bezahlen und am Ende man selbst.
Ich frage mich, wie weit ich heute gehen würde für einen anderen Menschen? War ich früher besser im Verhalten, wenn es darum ging, etwas zu retten? Eins war ich zumindest immer: ehrlich!
Ob ich diese Angst kenne? Oh ja. Nur zu gut. Die war mein zweiter Vorname. Ich komme aus einer über 10jährigen Beziehung mit absolut ungesundem Bindungsverhalten (Bindungsangst, diagnostiziert von Psycholog. Praxis), für den Ursprung keiner Verantwortung trägt, wohl aber für die Arbeit daran. Mein damaliger Partner war nicht bereit, tief in den eigenen Wunden zu graben. Auch das ist menschlich, wenn gleich es auch den Verlust meiner großen Liebe bedeutet hat. Denn gesunde Beziehung heißt eben auch gemeinsames Wachstum. Nicht immer gleich schnell, nicht gleich stark, doch in die gleiche Richtung.
Die Angst, diesen Menschen trotz aller Vernunft zu verlieren, war damals übermächtig. Ich habe gekämpft, weit über meine Kraft und über eine angemessene Zeit hinaus. Auch in anderen Bereichen meines Lebens. Grenzen? Kleine Zaunspitzen vielleicht. Mehr nicht. Ich hatte mich komplett verloren. Bis mir eine niederschmetternde ärztliche Diagnose half, zu sehen, dass ich mich selbst zerstörte. Und ich mir endlich eingestehen musste, dass ich eine Beziehung nicht retten kann, wenn nur einer bereit war, zu verstehen und daran zu arbeiten. Und dass manchmal Liebe allein nicht reicht. Eine Einsicht, die ich so lange nicht wahrhaben wollte. Denn in meiner Welt war mit Liebe alles zu schaffen.
Doch zur ganzen Wahrheit gehört eben auch dazu, dass meine ungeheilten und bis dahin gut verdrängten Anteile dazu beigetragen hatten, dass ich letztlich aus allem ausbrechen musste. Aus Job, Wohnung, körperlichem Raubbau und Beziehung.
Verlustangst, Distanz (die ich auch heute noch schnell wähle, um das erste nicht zu erleiden), wenig Vertrauen, Autonomie und der Hang zum Bindungsvermeider, um die wichtigsten zu nennen, sind bei mir frühkindlich geprägt. Mir fehlten all die Jahre, außer starkes Leistungsvermögen, komplett die guten anderen Werte in meiner Selbstwahrnehmung und der Zugang dazu. Ich schenkte mir nicht das Vertrauen, um loszulassen und mich von der Erfahrung finden zu lassen, dass Liebe oder Freundschaft auch langsam entstehen können und sich erst dann richtig gut und leicht und natürlich schön anfühlen, wenn sich findet, was wirklich zusammenpasst. Genau dann, wenn man wirklich man selbst sein kann. Komplett. Mit allen dunklen und hellen Seiten.
Aber wann ist man geheilt? Muss man erst heilen, um Beziehung (egal, ob Liebe, Freundschaft, Arbeit) zu haben? Nein, das geht auch zusammen, aber eben nur, wenn beide Seiten wachsen (wollen).
Die letzten Tage haben mich trotz der Traurigkeit auch wieder an meine Baustellen gebracht. Denn auch hier hätte ich eher deutlicher liebevoll Grenzen setzen müssen. Für mich.
Statt Grenzen und Vertrauen, kicken hier wieder das Rutschen in Distanz und das Aushaltenkönnen, das Kämpfen und Beschützen wollen, von Freundschaft und Werten, die so unglaublich kostbar sind, weil sie eben auch in all den Jahren noch immer nicht einfach zu finden sind.
Und während ich das schreibe, bin ich trotz allem fast ein bisschen dankbar, weil ich tief in mir weiß, dass das gerade sein muss.
Und ich die Zeit brauche, um die noch immer vorhandenen aber längst nicht mehr so starken Muster und Glaubenssätze zu verstehen und aufzulösen. Eine Zeit, die ich bewusst vor knapp 1,5 Jahren ohne Partner gewählt habe. Und mittlerweile ist diese Arbeit trotz Tränen sogar wunderschön, weil sie mich immer weiter zu mir selbst führt. Und zu einem unglaublichen Freiheits- und Lebensgefühl, das ich mir nie hätte vorstellen können. All die Jahre in alten Zwängen gefangen zu sein und zu verdrängen, war deutlich schwerer und belastender, als sich seine Schatten ein paar Mal anzusehen.
In diesem Sinne, das Schattenkind ruft…

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