Es ist ein stinknormaler Wintersporttag für Kids, Kategorie: Grundschule. Pünktlich finde ich mich am Treffpunkt für helfende Eltern ein und stelle den Familienholzschlitten in die Reihe für mitzunehmende Fortbewegungsutensilien. Es zupft an meiner Reinhold-Messner-Überlebensjacke.
"Ist das Euer...?" Überheblich und herausfordernd auf geparkten Schlitten deutend, starren mich zwei männliche Kinderaugen an. "Ist der noch aus 'm Krieg?"
"Ja", sage ich und beuge mich zu ihm vor. "Und an dem Seil wurden kleine Jungen hinterhergezogen!"
"Haha", verzieht Herr Schlaubi-Schlumpf Junior das Gesicht und sich auch ganz schnell.
Ich schaue mich um und entdecke tatsächlich eine nicht unerhebliche Anhäufung an Hightech-Ski- und Schlittenausrüstung. Vielleicht habe ich bei der Zusage doch versehentlich falsch angekreuzt und für drei Wochen Aspen unterschrieben? Armut ist definitiv was anderes!
Es geht los. Unter "Bitte stellt Euch in die Reihe und gebt Eure Sachen am Bus ab!" scheinen lediglich Teilnehmer erwachsenen Levels die wahre Bedeutung zu verstehen: der Haufen Technik bleibt stehen und eine dicke Traube kindlichen Gemüts schiebt sich gleichzeitig in drei Reisebusse.
Brav tue ich das, was mir aufgetragen wird. Dann dürfen auch wir Eltern in den Bus steigen.
Eine Welle der (Ohren) Betäubung schlägt mir entgegen. Wir sitzen ziemlich zentral. Zu zentral.
Dass so ein Reiseteil Fenster hat, aus denen man sehen und sowas wie Natur in Fahrtgeschwindigkeit betrachten kann, scheint hier absolutes Tabu. Um mich herum ist bereits eine gigantische Medienschlacht im Gange. I-Pods, I-Phones und wenn die Jugend könnte und es gäbe, auch j- und k-Phones. Da ich mit Erfindungen wie Facebook und Twitter ebenso wenig anfangen kann, wie als Norddeutsche im Dirndl umherzulaufen, bin ich diesen Dingen gegenüber ohnehin etwas negativ eingestellt. Erst recht, wenn sie in einem Alter von sieben bis acht Jahren konsumiert werden. Das Bild, das sich einem hier bietet, ist regelrecht abartig: kaum eines der Kids, das sich nicht darstellen oder andere drangsalieren muss. Ich merke, dass mein Nachwuchs als anders betrachtet und demnach mehr oder weniger außen vor gelassen wird. Hilfesuchend kuschelt er sich an mich. Kurz wird die Frage an den Busfahrer gerichtet, ob man über die vorhandenen Bildschirme nicht ein Video laufen lassen könne. Aber erleichternder Weise schüttelt der grinsend mit dem Kopf. Der Fall ist klar, der Mann muss kampferprobt sein. Sicher gehört zum Kinder-im-Bus-Beförderer auch eine Ausbildung im Terrorcamp. Währenddessen wird vor mir die "Kohle" gezählt und sinniert, ob man sich mit fünfzig Öcken lieber 'n neues Game oder doch was zu Fressen besorgen sollte.
Ich weiß nicht, was mich mehr entsetzt? Die Tatsache, was hier eigentlich los ist oder dass neben diesen Kids Eltern sitzen, die auf Bemerkungen des eigenen Sohnes zu einem anderen Kind wie "Halt's Maul, Du sitzt, wo ich es sage!", knallhart reagieren: "Magst 'ne Brezn?"
Das Aussteigen am Skigebiet gestaltet sich ähnlich hilfsbereit wie das Einsteigen. Doch immerhin bewegen sich unsere mutierten Zöglinge nun in der Natur mehr oder weniger selbständig. Kaum beruhige ich mich ein wenig und habe das Gefühl, dass die Jungen und Mädchen zur Abwechslung mal etwas Normales tun, höre ich eine Lehrerstimme über den Hang rufen: "Ihr könnt jetzt Euer Geld hier in dem kleinen Kiosk ausgeben, wenn Ihr wollt!" Ja, spinne ich? Warum gibt es keinen Protest??? Hallo Eltern? Hallo Erzieh- und Lehrkräfte? Ich kann nicht anders und fange Diskussionen an, woraufhin mich verständnislose Blicke strafen und vom Feld verbannen wollen. Ich gebe auf.
Was hier abläuft, ist das Ergebnis von Konsum- und Super-Events-Überhäufung geziert von Verhätschelung und Inkonsequenz! Kinder erleben keine Kindheit, in der man lernt, was Grenzen und Sich-etwas-erarbeiten bedeuten. Man nimmt ihnen die Möglichkeit, zu scheitern und mit Misserfolgen leben zu lernen. Stattdessen wird ihnen der Druck auferlegt, immer cool zu sein, im Mittelpunkt stehen und die schwache Kopie eines Erwachsenen sein zu müssen. An allem ständig beteiligt. Das Motto: lieber lügen, als ehrlich und schwach. Von "Guten Tag, Bitte und Danke" reden wir gar nicht erst. Hilflosigkeit und Unwissenheit versteckt hinter sicherem Auftreten. Vielleicht erhalten wir durch die nachkommende Generation nun allmählich die Quittung, in der ADS/ADHS und Burnout zur häufigsten Diagnose gehören werden, weil der Körper längst nicht mehr mithalten kann. Kinder, die von Menschen erzogen werden, die selbst in antiautoritären Verhältnissen aufgewachsen sind. Was man selbst nicht lernt, kann man an andere nicht weitergeben.
Traurig und verstört fahren wir nach einem langen Tag wieder nach Hause, während ich mir die Frage stelle, was mit den Menschen geschieht. Wie ist der richtige Weg, seinen Kindern alte Werte zu vermitteln, mit denen sie am Ende allein auf weiter Flur stehen? Ich schaue meinen Nachwuchs an und weiß, wir schwimmen gegen den Strom. Es braucht viel Kraft, aber ich will nicht aufgeben und wer weiß, vielleicht gibt es da draußen ja doch noch ein paar normale Unnormale...
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