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AutorenbildAnja Harz

Aus-Zeit

Bis zum Oktober letzten Jahres hatte sich mein privates und berufliches Leben so zugespitzt, dass es in meinen Augen damals kein "Weiter" gab.

In meinem Job als Ingenieurin ging es nicht mehr weiter: mit fehlender Wertschätzung, zu viel Stress, zu viel Verantwortung, die mir ungefragt aufgenackt wurde. Weil man weiß, dass ich Dreck wegräumen kann und dabei den Überblick und die Führung behalte.

Gesundheitlich wurde aus einem Weiter ein Stopp. Eine kombinierte Diagnose, die bis dato einen jahrelangen Leidensweg zurück in die Normalität noch einmal gewaltig torpedierte und mir nur einmal mehr meinen wirklichen seelischen und körperlichen Zustand vor Augen hielt.

Auch privat wurde mir ein Weiter verweigert, da es nicht mehr darum ging, etwas für unsere Beziehung zu tun sondern nur noch einen leichten Weg zu suchen. In Beziehungsdingen war dies mein größter Verlust. Denn es bedeutete das Loslassenlernen von etwas für mich Einmaligem. Ich war zum ersten Mal in meinem Leben dabei, mein Herz einem anderen Menschen wirklich zu öffnen und mit all meiner Liebe, die so wahnsinnig groß war, in diese Verbindung zu gehen. So gut, wie ich eben zu dem damaligen Zeitpunkt konnte. Ich zeigte diesem Menschen nicht, was mich störte, sondern das, von dem ich dachte, das es ihn verletzen und am Ende zerstören würde. Ich versuchte Halt und Sicherheit zu sein und das Vertrauen zu geben, dass sich mein Partner bei mir genauso zeigen durfte, wie ich ihn ohnehin längst (er)kannte und ich ihn mit all seinen Seiten liebte. Komplette Hingabe, die bei mir leider auch in kompletter Selbstaufgabe endete.

Bis zu diesem einen Oktobertag dachte ich, dass ich bereits viel getan hätte, um meinem stressigen Lebensweg eine Änderung zu geben. Ich dachte, ich wäre super im Loslassen und so was von bei mir angekommen. Dass es nicht so ist, wurde mir auf einer Fahrt von Trier in mein wunderschönes Zuhause, das ich ebenfalls drei Monate später verlieren sollte, mit Pauken und Trompeten um die Ohren gehauen. Auch die Wochen, die folgten, waren gefühlt für mich die Hölle, weil mein ganzes Kartenhaus zusammenfiel. Ich war kein Teil mehr einer Familie, die wir zusammen großgezogen hatten. Ich war kein Teil mehr meines eigenen Lebens. Eine leere Hülle, die wieder einmal durch die Luft segelte, obwohl ich nach außen so groß tönte, dass ich doch zuvor schon längst auf meinem Weg gewesen sei. Das Leben bewies mir das Gegenteil. Ohne Schnörkel, kalt und ehrlich.

Es war keine Kurzschlusshandlung, nur ein innerer nüchterner Antrieb, denn ich wusste: jetzt oder nie. Ich musste etwas ändern. Oder alles. Mit einem schweren Herzen, dem übermächtigen Gefühl von Verlust in jeder Faser meines Körpers setzte ich einen Schritt nach dem anderen konsequent um: Ich kündigte, trat einen neuen (und mir unbekannten) Job 800 km entfernt an, räumte meine Wohnung, verließ mein mir so ans Herz gewachsenes Umfeld, in dem sich auch noch meine beiden wundervollsten Kinder und meine Freunde befanden. Ohne zu wissen, was kommen würde. Ohne jeglichem Gefühl in mir, außer Traurig- und Fassungslosigkeit.

Und tat: nichts. Ich lenkte mich nicht ab, stürzte mich auch nicht in eine neue Beziehung, Hobbys, Sport, gesunde Ernährung oder zog in das familiäre Eigenheim mit Garten.

Stattdessen versuchte ich diesmal wirklich, einfach nur zu sein. In mich reinzuhören, was ich ehrlich wollte und was ich brauchte. Ich renovierte und renoviere Stück für Stück und ganz langsam eine kleine Ferienwohnung mit einer ebenso kleinen Vorterrasse (wenn man das so nennen will) ohne einen festgelegten endgültigen Wohnsitz. Ich holte mir (auch als Coach) noch einmal Hilfe und schaute mir meine Anteile meiner beendeten Beziehung und in meinem Leben noch genauer an. Wo und warum hielt ich noch fest und wo fehlte mir Vertrauen? Was erzeugte Stress und brachte mich an körperliche Grenzen? Die Antworten waren teilweise nicht schön und hatten ausschließlich mit mir selbst zu tun. Aber sie waren und sind letztendlich der Schlüssel.

Ab da machte und mache ich alles, zumindest versuche ich das täglich, was sich richtig anfühlt und zu mir passt und zwar in ALLEN Lebensbereichen.

Ich gönne mir viele Pausen, lasse neue Menschen in mein Leben, zeige mich, wie ich bin und lerne diejenigen schätzen, die extra für mich aus dem Süden in diese Region kommen, um sie kennenzulernen und die, die sich freuen, wenn ich wieder zurück in die Berge komme. Ich lasse mir Zeit, hetze nicht mehr. Ich sage ehrlich, was ich möchte und nicht möchte und bin dabei noch nie auf Widerstand gestoßen, weil ich nichts davon negativ empfinde. Ich meditiere und beginne allmählich mit dem Sport und in der Häufigkeit, die mir gefällt. Ich genieße es, zu essen und zu trinken. Ich gehe zum Fußball, Konzerten und lerne neue Orte und Veranstaltungen kennen. Ich bin Gast und Gastgeberin. Und lebe weiterhin mein Motto, dass jeder in meinen vier Wänden willkommen ist und sich zu Hause fühlen darf. Ich blockiere keinen Kontakt, weil Menschen mir nicht den Raum geben, der eine gute Freundschaft oder Verbindung ausmacht, folge und schaue mir Dinge jedoch nur an, wenn ich auch die Zeit und Lust dafür habe und Respekt und Achtung nicht verlorengehen. Ich sorge rechtzeitig für den Erhalt meiner Grenzen, ebenfalls ohne jegliche Negativität. Auch beruflich breche ich nichts mehr übers Knie. Ich höre in mich und bin offen, ohne ein Muss das tun zu können, was sich natürlich und gut anfühlt.

Das ist der Weg, den ich im Moment für mich wähle. Und er ist definitv anders als der, den ich die letzten dreißig Jahre für richtig hielt. Ich nehme diese Zeit als meine persönliche Auszeit und lasse mich vom Leben und dem Universum tragen und führen. Ich lerne, wie sich Leichtigkeit, Freude und Spaß tatsächlich anfühlen. Und ich lerne, wer und wie ich sein möchte.

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