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AutorenbildAnja Harz

Max

Max und ich haben uns vor ein paar Monaten über eine Rückenschule zufällig kennengelernt. Wir sind befreundet und erzählen viel. Vor ein paar Tagen steht er vor mir, nimmt meine Hände und bittet mich: "Anja, schreib über mich. Für alle... und für Julia." Ich darf Julia erwähnen, weil kaum jemand Julia kennt und in den Zusammenhang mit dieser Geschichte bringen würde. Dass das so ist, sagt eine Menge, denn Julia ist mit drei eigenen Kindern bereits seit sieben Jahren an der Seite von Max. Gewesen. Sie hat sich getrennt. Und Max vermutlich ein wenig gerettet. Julia und Max lebten als Patchworkfamilie in einem Haus, noch nicht sehr lange. Der Weg dahin war schwer, sagt Max. Aus seiner heutigen Sicht vor allem für Julia. Denn Max hat ein Problem: Alkohol. Nicht sonderlich sichtbar. Denn glücklicherweise gibt es keine körperliche Abhängigkeit, die einen klinischen Entzug erfordern würde. Alkohol begleitet ihn, wie vermutlich fast jeden von uns, seit seiner Jugend. Sein Trinkverhalten hat sich nicht großartig von anderen unterschieden. Mittlerweile ist Max 48 Jahre alt, hat einen Sohn, ist beruflich erfolgreich und sportlich aktiv.  Zu Trinken gehörte allein beruflich so zum Alltag wie die Unterschrift auf seinen Verträgen. Manchmal mehr, mal weniger. Manchmal wochenlang garnichts. Dann wurde aber auch mal wieder mit Kumpels bis zum Filmriss getrunken. Das allerdings mit zunehmendem Alter eher selten. Aber im Großen und Ganzen verging kaum ein Tag, an dem es nicht doch mal ein kleines Bier oder ein Glas Wein gab. Mehr zum Entspannen. "Die Tücke ist", sagt Max, "dass jeder bei einem Alkoholproblem an Abhängigkeit und den aggressiven Trinker denkt, der morgens erstmal einen Liter Wodka trinken muss!" Denn die Abhängigkeit im Kopf beginnt so viele Jahre früher und was gefährlich ist: schleichend. Und zeigt sich nicht erst im Zittern und bei Magenproblemen. Nein, der Alkohol ändert das Wesen. Der Dopaminspeicher wird unter anderem immer wieder geleert. Die Organe haben ständig mit dem Entgiften zu tun etc.etc. Die Liste ist lang. Auch Max hat sich verändert. Als er Julia kennenlernt, ist sie seine große Liebe. Er konnte sich alles mit ihr vorstellen. Doch irgendwie ist alles anders. Kommt schwer in Gang. Julia sucht das Gespräch und fragt, ob es nicht passe für ihn? Zum damaligen Zeitpunkt kann er nichts nachvollziehen und nimmt die Dinge komplett anders wahr, obwohl er genau diese Dinge tut: Max beginnt, sich bereits nach den ersten Monaten zurückzuziehen. Immer wieder und immer öfter. Er brauche Ruhe. Er fängt an, Julia wegzuschieben. Gemeinsames Reden wird zusehends anstrengender. Die Themen bleiben schließlich gleich. Auf Feiern haben beide zwar Spaß, aber mehr und mehr sorgt Max dafür, dass diese ohne Julia stattfinden. Er fühle sich antriebslos. Dagegen wird mit Kumpels keine Gelegenheit ausgelassen. Auf Familienfeiern lässt Max sich kaum noch blicken. Urlaube brauche er nicht. Immer wieder kramt Max Probleme und Anschuldigungen hervor. Schuld waren grundsätzlich andere. Die Kinder, Kollegen, Julia, Julia und ihre Kinder und nochmal Julia. Heute sagt Max, dass er über die Jahre immer unzufriedener wurde. Und leer. Unglaublich leer. Gefühle hatte er kaum noch. Max hielt Julia immer weiter auf Abstand. "Ich habe in unserer Freizeit nicht einmal mehr gefragt, was sie eigentlich machen möchte. Nicht gesehen, wenn sie eine andere Frisur oder ein neues Kleid hatte. Julia kämpfte wahnsinnig um uns und hat sich aufgerieben. Immer wieder das Gespräch gesucht und mich darauf hingewiesen, dass etwas nicht stimme! Je mehr Julia das tat, desto mehr entfernte ich mich. Sie wurde mir egal. Sie war selbstverständlich und eh immer da. Ich hatte keinen Blick mehr für sie und habe gedacht, dass ich Julia nicht mehr liebe." Mit der Unzufriedenheit kam auch über die Jahre eine unglaubliche Launenhaftigkeit. Ein sehr guter Freund sprach mich eines Tages an, ob es mir gut gehe. Meine Launen seien ja unerträglich! Aus Julias Mund war das eine Frechheit, es woanders zu hören, kannte ich nicht. Und ich nahm mich schon garnicht so wahr. Ich machte weiter. Mit allem." Vor ein paar Monaten ist Julia gegangen. "Ich kann nicht mehr!", sagte sie traurig. "Ich dachte, ja ja, das hast du schon so oft gesagt." Aber Julia kam diesmal nicht zurück. Anfangs war Max verletzt. Doch irgendwie wollte er wenigstens für sich nicht das Gefühl haben, er habe nichts für die Beziehung getan. Und nahm sich Zeit zum Nachdenken. Und stolperte durch mich über das Buch von Nathalie Stüben - Ohne Alkohol. Die beste Entscheidung meines Lebens (Achtung, keine bezahlte Werbung!) Dabei war er eigentlich noch immer nicht davon überzeugt, dass er ein Problem durch Alkohol habe. Aber mal reinschauen schadet ja nicht, dachte Max. Er erzählt mir, dass die Ehrlichkeit, die man zu sich selbst haben muss, unabdingbar für die Einsicht war. Und es war hart. Hart für sein Ego. Hart, weil er dachte, er müsse sein ganzes Leben umkrempeln. Mit einem Online Kurs ging es weiter für Max. Auch auf anderen Internetseiten habe er gelernt, wie viele Gesichter ein Leben mit Alkohl hat und wie viele Menschen davon betroffen sind. Vor mir sitzt jetzt ein ruhiger und ausgeglichener Mann mit einer gesunden Gesichtsfarbe und glücklichen, frechen und lebendigen Augen. Er fühle sich auch so, sagt Max leise. Er weint ein bisschen, weil er dieses Gefühl schon garnicht mehr gekannt habe. Er stehe erst am Anfang, aber dieses Freiheits- und Lebensgefühl möchte er nie wieder verlieren. Ich sage nichts. Mir ist übel und es schnürt mir die Kehle zu. Max erzählt mir noch, dass es nach langen Versuchen endlich ein Gespräch mit Julia gab. Sie freue sich für ihn. Liebe ihn vielleicht auch noch. Aber sie habe jemanden kennengelernt. Sie wolle einfach ein normales Leben und jemanden, der sie liebt. Er liebe sie, sagt Max und versucht zu erklären, was er über so viele Jahre nicht konnte. Weil er nicht verstanden habe, wie eine so harmlos aussehende und spaßbringende Flüssigkeit so einen Einfluss auf das komplette Leben haben könne. Denn wer schiebt Unzufriedenheit, Depression, Launen, Leere, Müdigkeit schon auf so etwas. Das hätte er nie für möglich gehalten, sagt Max. Burnout, Stress, egal. aber nicht das. Ein Gläschen Alkohol geht doch. Die Kontrolle darüber auch. Das habe er sich oft genug beweisen wollen. Klar geht das, aber der Körper kann das trotzdem nicht abfangen und somit ändert sich gar nichts. Das habe er nun endlich begriffen. Und jetzt gehe es bergauf. Der Preis war zu hoch. Es könne nie wieder zurückgehen. Dafür sei das Ergebnis zu kostbar. "Und Julia...", sagt er, "ich gebe uns nicht auf. Wir werden uns wiederfinden, wenn es sein soll. Sie hat so ein großes Herz und hat Glück vedient. Niemand war je so ehrlich zu mir. Ich möchte ihr auch mit diesem Eintrag danken!"

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